Seit einigen Wochen gelingt es mir nicht mehr, es vor mir selbst zu verheimlichen. Ich kann nicht einschlafen, wenn mein Smartphone nicht in greifbarer Nähe neben meinem Bett liegt. Sobald ich merke, dass es nicht da ist, stehe ich auf, geistere durch die Wohnung und hole es. Ehrlich gesagt finde ich aber auch dann keinen Schlaf, wenn ich mich tastend seiner Gegenwart versichere, wenn ich unter den Fingern seine glatte Oberfläche spüre und wenn hin und wieder sein Summen signalisiert, dass es ebenso wach ist wie ich.

Eine Nacht ohne Smartphone?

Vermutlich sollte ich mir psychotherapeutische Hilfe holen. Ich sollte mir sagen lassen, dass es allerhöchste Zeit für eine Lebenskunst der Entnetzung sei und dass es mich gelassener und gesünder machen würde, öfter offline zu gehen. Vor allem nachts. Wegen der Tiefschlafphase. Aber das weiß ich natürlich auch so.

Irgendwann in den letzten Tagen ging mir das Licht auf, dass ich mein Smartphone nachts bei mir haben will, weil ich auf etwas warte. Irgendwie scheint mein iPhone ein Sinnbild für die Pforte zu sein, durch die das Erwartete zu mir kommt. Aber worauf warte ich? Wahrscheinlich doch auf die ultimative, erlösende Nachricht.

Weil ich aber nicht wüsste, welches real existierende irdische Wesen mir eine solche Nachricht senden könnte, kann es eigentlich nur Gott sein, auf den ich warte, wenn ich ununterbrochen online bin.

Im Alten Testament erscheint Gott den Seinen im Traum. Uns Heutigen – und warum nicht auch mir? – müsste er sich eigentlich im Smartphone offenbaren – dem Medium, durch das wir uns mit allem, al­so mit Gott und der Welt verbinden. Der Kulturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hat unlängst notiert, im amerikanischen Englisch tauche seit ein paar Jahren immer häufiger der Wunsch auf, sich an etwas festhalten zu können –  "to hold on to something".

Festhalten am Handy

Wo sonst, wenn nicht an ihren Smartphones, sollten sich Bewohnerinnen und Bewohner der digitalisierten und im übrigen wahrscheinlich doch von allen guten Geistern verlassenen Welt noch festhalten wollen? Ob für sie im Smartphone nicht nur die Weltverhältnisse zusammenlaufen, sondern das Handy auch ein spirituelles Objekt ist, weiß ich nicht. Für mich ist es das irgendwie schon.

Wenn es neben mir liegt, dann wird es gewissermaßen zum Eselchen, auf dem der sehnsüchtig erwartete Messias nach Jerusalem einzieht.

Und wenn ich im Halbschlaf in die Dunkelheit hineinhorche, dann horche ich letztlich hinaus aus der Welt zu dem Einzigen, der diese mitgenommene Welt retten könnte.

Die Psychologie kann mir also in diesem Fall nicht helfen. Denn wegtherapieren lassen will ich mir mein Warten auf Gott auf gar keinen Fall. Die Sehnsucht nach Gott ist für einen Mann Gottes wie mich ja geradezu das Lebenselixier. Natürlich hätte ich kein Problem damit, mich fragen zu lassen, wie es denn mal mit sieben Wochen ohne Handy neben dem Bett wäre.

Aber ich würde diesen suchtpräventiven säkularen Fastenratschlag nur ernst nehmen können, wenn er auch mein Warten auf Gott ernst nehmen und nicht als bemitleidenswerte Macke eines psychisch unreifen Ewiggestrigen belächeln würde.

Verzichten auf Gott?

Genau das ist es übrigens, was mich an vielen gutgemeinten Sieben-Wochen-ohne-Tipps stört: dass sie geistlich oft so desinteressiert sind. Vielleicht bin ich ein wenig zu streng, aber ich höre sie geradezu in meinem Kopf, die zahllosen Fastenaktionsstimmen, die mir eindringlich einzureden versuchen, der Clou beim Fasten bestehe darin, zu Heldinnen und Helden des Verzichts zu werden. Dabei verzichten diese Ratschläge in der Regel vor allem auf eins: auf Gott.

Ich werde diesen Stimmen heuer einen Deal vorschlagen und ihnen ant­worten: "Okay, ich verzichte sieben Wochen lang auf das Smartphone neben meinem Kopfkissen. Dafür verzichtet ihr sieben Wochen lang auf die Suggestion, dass es nur auf Selbstdisziplin ankommt, und widersteht der Versuchung, dass ihr eures eigenen Glückes Schmied sein müsst. Ich entferne das Handy aus meinem Schlafzimmer. Und ihr versucht in diesem Jahr sieben Wochen lang nicht, zu verzweifelten Lebenskunstheldinnen und Lebenskunsthelden werden zu wollen. Es reicht, wenn ihr euch für Gott offenhaltet. Seine Gnade genügt."

Das werde ich sagen. Und jetzt gehe ich ins Bett.

Kommentare

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Magnolie am Di, 05.03.2024 - 20:28 Link

Irgendwie kann ich der Logik dieses Artikels nicht ganz folgen: Sie können nicht einschlafen, wenn das Handy nicht neben ihrem Bett liegt und begründen das da mit, dass das Handy für Sie der Draht zur Welt und zu Gott ist? Deus ex machina quasi- ok, aber wenn es so einfach ist, wieso haben Sie dann Theologie studiert? Ich finde Ihren Post eher irreführend, auch wenn Sie zum Schluss schreiben: `Es reicht wenn ihr Euch für Gott offenhaltet.`Sie selbst halten sich ja offensichtlich nicht offen. Die Flut an Informationen, an die wir uns gewöhnt haben, können durchaus zwischen uns und Gott stehen. Wie ein erhöhter Blutzuckerspiegel sozusagen der beim leichten Absinken nach der nächsten Süßigkeit ruft. Dann ist man eben für vieles nicht offen und nicht wirklich bei sich selbst. Stille hingegen schafft Möglichkeiten.
ich gebe zu, das hört sich jetzt ein klein wenig an wie das Wort zum Sonntag- wieso muss ich Ihnen das sagen, das wäre doch eigentlich ihr Part