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Auf dieser Seite veröffentlichen wir eine Auswahl Ihrer Rückmeldungen. Wir sind gespannt auf Ihre Reaktionen!

Leserbrief zum Artikel "Seelsorge- und Teilhabezentrum Nürnberg: Barrierefreies Zentrum soll Heimat sein"

Für Millionenbeträge wird ein evangelischer Campus in Nürnberg am Rathenauplatz errichtet, der vielen Institutionen und Organisationen Platz bieten soll, um sie miteinander zu vernetzen und kurze Wege zu  ermöglichen. Warum wird dann ein weiteres Haus für Blinden-, Gehörlosen – und Schwerhörigenseelsorge und ein Soziales Teilhabezentrum  für gehörlose und hörgeschädigte Menschen am Egidienplatz eingeweiht? Inklusion heißt etwas anderes. Inklusion ist nicht das Prinzip, bestimmte Personengruppen zu selektieren und aus dem normalen Betrieb auszugrenzen. Es würde unserer Kirche gut anstehen, nicht nur Inklusion auf den Lippen zu tragen, sondern auch konkret umzusetzen und zu leben.

Hermann Schoenauer, ehemaliger Rektor der Diakonie Neuendettelsau

Leserbrief zum Artikel: "Ex-CSU-Chef Huber: CDU-Vorstoß für Soziales Pflichtjahr ‚politisch dumm‘"

Soziale Kompetenz lässt sich nicht erzwingen!

Wehrdienst, Zivildienst, Sozialdienst: Nach der Entscheidung auf dem CDU-Parteitag scheint sich der Eindruck zu verfestigen, wonach Deutschland wohl traditionell dazu neigt, seine Jugend zu verpflichtender Gesellschaftsleistung zu verdonnern. Man könne dieser Generation durchaus einen Beitrag zum Miteinander abverlangen, so der Tenor aus den Reihen der Christdemokraten, welche mit ihrem Beschluss eine Anregung des Bundespräsidenten aufgenommen hatten.

Zu Recht haben jedoch SPD, Grüne und FDP mit Skepsis reagiert: Man hat den jungen Erwachsenen in der neuesten Vergangenheit bereits Einiges zugemutet, vom Mittragen der Corona-Maßnahmen bis hin zur Solidarität in der Teuerungskrise. Aber dieses Argument ist nicht das alleinige oder har tragende in der Diskussion.

Viel eher geht es um die Frage, inwieweit man das Erlernen und Üben von sozialer Kompetenz erzwingen und erwarten kann. Empathie, Mitmenschlichkeit und Zugewandtheit kann man sich nicht antrainieren, ganz im Gegenteil: Sensibilität und Nächstenliebe werden nicht durch Zwang und Druck verordnet. Deren Sinnhaftigkeit und ethische Notwendigkeit können nur durch Förderung und Formung der Persönlichkeit gelingen, wenn dies der Betroffene auch möchte.

Der Wille, obsessionsfrei und selbstbestimmt humanistische Werte und soziale Fertigkeiten anzunehmen, erwächst durch Ermutigung und Freiwilligkeit. Daher braucht es Anreize und eine bessere Anerkennung und materielle Würdigung bestehender fakultativer Angebote wie des FSJ, welches sich dadurch auszeichnet, junge Leute mit Motivation, Ehrgeiz und Freude für die Arbeit mit Menschen zu gewinnen und sie von toleranten und offenherzigen Berufen zu begeistern.

Ein soziales Jahr soll nicht zum Selbstzweck werden. Es muss als Orientierungsmöglichkeit gesehen werden, sich für jene Tätigkeiten zu entscheiden, für die schon heute das fachlich qualifizierte Personal fehlt. Allein aus Gründen einer Pflichtleistung für Staat und Gesellschaft, vielleicht sogar als Lückenbüßer für unbesetzte Hauptamtsstellen, darf solch ein Projekt nicht umgesetzt werden.

Bestrebungen der Union diesbezüglich sind zurückzuweisen. Junge Menschen zu Jobs heranzuziehen, die durch viele politische Versäumnisse ein stiefmütterliches Dasein fristen und aus Unattraktivität leer bleiben - eine derartig missbräuchliche Zweckentfremdung junger Talente ist nicht hinnehmbar.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zum Artikel "Theologe Nikolaus Schneider: Assistierten Suizid in Extremfällen erlauben"

Assistierter Suizid nur "in Grenzfällen"?

In der Diskussion über Suizidassistenz hat jüngst Nikolaus Schneider das Wort ergriffen. Und zwar in einem ähnlichen Ton wie zu Anfang des Jahres die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. In "Grenzfällen" oder "absoluten Ausnahmefällen" sei der Suizid eines Menschen "durchaus im Einklang mit dem Willen Gottes möglich". Ich nehme in der Wortmeldung beider einen durchaus anderen Tonfall war, als zur Zeit des Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm. Das ist hilfreich, weil weiterführend.
Und doch macht mir das Votum von Nikolaus Schneider und Frau Kurschus Beschwer: Das Karlsruher Urteil verwendet weder die Formulierung "Extremfälle" oder "Grenzfälle" noch die kirchlich verbreitete Version "absolute Ausnahmefälle". Vielmehr spricht es von Einzelfällen, die nicht "n o r m a l" werden sollen. Das ist in meinen Augen etwas anderes als "ultima ratio". Kirche kann nämlich mit ihrer kompromisslosen "Nein-Haltung" zum assistierten Suizid nur weiter verlieren. Denn sie hat heute keine Deutungshoheit mehr wie das lange der Fall war, aber seit 2021 nicht mehr ist: Evangelische und katholische Christen bilden zum einen keine gesellschaftliche Mehrheit mehr. Zum anderen votieren mehr als zwei Jahrzehnte lang in Sachen Sterbehilfe über siebzig Prozent der Bürgerinnen und Bürger pro assistierter Suizid. Das hat Kirche zur Kenntnis zu nehmen statt immer wieder neu das Suizid ablehnende Votum einer Minderheit kirchlicher Funktionseliten zum Maßstab aller Dinge machen zu wollen. Tempi passati. Zudem ist das Karlsruher Urteil ein Grundsatzurteil, an dem Kirche nicht vorbeikommt. Ihm zufolge gibt es vom Grundgesetz her legitimiert ein Recht auf Leben und Sterben. Menschen sind nicht länger Objekte betreuten Denkens, sondern Subjekte ihres Lebens und Sterbens. Wenn wir politisch wahrgenommen werden wollen, müssen wir uns als demokratie- und kompromissfähig erweisen.

Dabei will ich – durchaus auch gegen das Karlsruher Urteil - darauf hinweisen, dass der Begriff "normal" philosophisch und rechtlich mehrdeutig, nicht eindeutig ist (vgl. Gerhard Ritter, in: Ritter/Gründer, HWPh Bd. 6, 1984, Sp. 920). Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich Normen und Standards des als "normal" Erachteten kulturell immer wieder geändert haben und bis heute ändern. Man denke an den Schwulenparagrafen, das Ehescheidungsrecht oder die Eheschließung queerer Menschen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Von daher kann es m.E. nicht Aufgabe des Staates bzw. der staatlichen Rechtsordnung und erst recht nicht der Kirche sein, zu definieren, was "normal" sei. Anders gesagt: Wenn sich moralische Anschauungen in der Bevölkerung ändern (und das tun sie), ist das zum einen legitim und zum anderen hat der Staat das zu akzeptieren, nicht zu korrigieren. Es ist ja infolge neuzeitlicher Entwicklungen so, dass sich Menschen nicht mehr "von oben" vorschreiben lassen, wie sie zu leben und zu sterben, zu lieben und zu glauben hätten. Darüber entscheidet zunehmend das Individuum selbst – ein Wertewandel, an dem alle westlichen Gesellschaften seit Jahrzehnten partizipieren.

Ich erinnere in dem Zusammenhang an das freiheitliche Votum, das der große liberale Theologe Trutz Rendtorff (München) 1985 in einer EKD-Denkschrift so formuliert hat: "Die Kirche hat nicht die Funktion, dem einzelnen Christen die Entscheidung, die er als Bürger zu treffen hat, abzunehmen. Sie kann keine andere Autorität in Anspruch nehmen als die Überzeugungskraft ihrer Sachargumente." Dem ist heute nichts hinzuzufügen.

Dr. Dr. Werner Ritter, Bayreuth

Leserbrief zu den neuerlichen bundesweiten Segensgottesdiensten für homosexuelle Paare

Wer nicht segnet, versündigt sich!

Wenn wir einen anderen Menschen segnen, setzen wir dem Wortursprung gemäß ein Zeichen. Wenn Pfarrer, Theologen und Laien ein Gegenüber segnen, erbitten sie für ihn Gottes Kraft, Zuspruch, Gnade und Schutz. Nicht wir selbst "kennzeichnen" den Anderen, nur Gott selbst kann ihm seinen Segen geben. Wir sind lediglich das ausführende, irdische Instrument. Daher steht es uns auch nicht zu, den zu segnenden Mitmenschen zu beurteilen. Ob am Ende der Segen für ihn fließen wird, entscheiden nicht wir.

Daher ist es eine Anmaßung gegenüber Gott, wenn wir das Spenden des Segens nur deshalb verweigern, weil wir solch ein "Abzeichen" aus dogmatischen Gründen ablehnen. Wir sind Gottes Werkzeuge, um seinen Segen in der Welt zu verteilen und dabei nicht berechtigt oder befähigt, durch eigene Werturteile zu bemessen, wann jemand diesen Segen "verdient" hat.

Denn blicken wir auf die lutherische Lehre, steht er jedem Kind Gottes zu, bedingungslos. Daher ist es ein Frevel, wenn wir homosexuellen Paaren keinen Segen zusprechen. In der Bibel finden sich keine ernsthaften Argumente, wonach gleichgeschlechtlich orientierte Personen nicht von Gott bejaht würden. Blickt man auf die vielfach zitierten Schriftstellen im Tanach, sind sie unter kritischer Betrachtung häufig nur aus dem Zusammenhang gerissen, fragwürdig übersetzt oder der zeitlichen, gleichsam vergänglichen Moral geschuldet.

Gott unterscheidet die Agape nicht. Aus seiner Perspektive gilt sie universell – und zwischen jedem Mann und jeder Frau gleichermaßen. Das Neue Testament hebt entsprechende Differenzierungen, insbesondere aus den Büchern Mose, faktisch wiederum auf. Zuneigung und Zweisamkeit zwischen Menschen, unabhängig ihrer biologischen Identität, können eben keine Sünde sein. Die Gebote zu Sittlichkeit und Verantwortung im Sexualverkehr gelten für alle, es gibt keinen Grund zur Behauptung, dass sie sich besonders und ausschließlich an Homosexuelle richteten.

Es geht beim Segen nicht darum, ob wir als Erbetende für Gottes Fürsprache und Vermittler seines Lobpreises die Lebensweise des Anderen befürworten. Wir sind nicht seine Richter, sondern Anwälte der Liebe. In dieser Funktion entspricht es Arbeitsverweigerung, wenn wir den Ritus des Segens aus Aspekten der Tradition, Werte, Normen oder Befindlichkeiten nicht weitergeben wollen.

So stünde es manch einem Priester gut zu Gesicht, sich selbst zurückzunehmen und die eigenen Ansprüche in den Hintergrund zu stellen. Denn die Annahme eines Menschen durch Gott obliegt nicht unserer Gutheißung. Sie ist vorbehaltlos und unbegrenzt.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zu "Predigt: Warum schaffen wir Menschen es nicht, friedlich zusammen zu leben?"

Mein Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen? – In Anlehnung an Jesu Worte mag es dieser Tage vielen Menschen in aller Welt so ergehen: Sie fragen sich, weshalb es dieser allmächtige Schöpfer erneut zugelassen hat, dass ein sinnloser Krieg unser Miteinander erschüttert.

Nicht erst seit dem Holocaust fällt es auch vielen Christen schwer, an diesen theistischen Lenker zu glauben. Lässt er uns mit dem Wahnsinn einzelner Staatenlenker schon wieder alleine? Wie können wir ihm angesichts der schrecklichen Bilder von Zerstörung und Leid noch vertrauen? Und weshalb vermag er es offenbar wiederkehrend nicht, Riegel vor einen selbstherrlichen Politiker zu schieben?

Die Enttäuschung und die Verzweiflung angesichts seiner offenbaren Untätigkeit muss letztendlich zu Zweifeln führen. Wieder kommt die "Theodizée"-Frage auf – und sie lässt uns mit Kopfschütteln zurück. Doch schon Zofia Jasnota formulierte in seinem Lied "Unfriede herrscht auf der Erde" (EG 663, Ausgabe für Baden) von 1977, dass "Gott selbst es sein wird", der der Welt Frieden schenkt.

Dabei handelt es sich aber eben nicht um diesen menschlichen Pazifismus, den wir uns vorstellen. Bereits im Rahmen der Schöpfungsgeschichte wird klar, wonach Gott die Eigenverantwortung und Freiheit seiner Ebenbilder als das wohl höchste Gut an uns irdische Wesen geschenkt hat. Er befähigt uns zur Einsicht, was "gut" und "böse" ist. Dazu gehört letztlich auch der schwer zu fassende Umstand, dass es Menschen gibt, die ihre eigene Interpretation dazu haben.

Auch Putins wirre Vorstellungen müssen wir unter diesem Aspekt als eine völlige Zumutung hinnehmen, wenn wir uns gleichzeitig bewusst werden: Gott ist kein Lückenfüller, der uns in glückseligen Zeiten selbstständig agieren lässt und den wir lediglich in Krisen zu Rate ziehen können. Wenn wir uns vollständig auf ihn einlassen, bedeutet das auch, mit menschgemachten Katastrophen umzugehen.

Gleichsam wäre es falsch, ihm eine vollständige Abwendung von der Welt vorzuwerfen. Denn es ist seine eigene Art und Weise des Beistands, den er uns auch dann zuteilwerden lässt, wenn wir seine Abwesenheit beklagen – weil wir seine Form des Friedens nicht verstehen und erkennen können.

Solidarität und Humanität sind seine Möglichkeiten des Ausdrucks von Versöhnung. Und sie merken wir auch im Ukraine-Krieg 2022 erneut: Es sind diese unfassbaren Gesten der Mitmenschlichkeit, von Trost und der ausgestreckten Hand, die weite Teile der in- und ausländischen Zivilbevölkerung den Opfern dieses unerträglichen Konfliktes zukommen lassen. Die Suppe, die sie für die Flüchtenden kochen. Matratzen und Tücher zum Schlafen in den eigenen vier Wänden für die Schutzsuchenden von nebenan. Transparente und Banner bei den unzähligen Demonstrationen und Protesten. All das ist Gottes Friede.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zum Valentinstag

Möge sich die Kirche auf den Heiligen Valentin rückbesinnen!

Mittlerweile ist er  vor allem für die Wirtschaft zu einem Ereignis geworden, an dem der Absatz von Blumen, Pralinen und Parfüm ins Unermessliche steigt. Doch in Wahrheit steckt hinter dem Valentinstag ein ernster Hintergrund: Der heilige Schutzpatron, der dem 14. Februar seinen Namen gab, war ein Verfechter der Liebe zwischen allen Menschen. Er hat diejenigen getraut, die ausgegrenzt und von der Gesellschaft verachtet wurden.

Wie hochaktuell ist diese Thematik beispielsweise durch das Outing von Kirchenmitarbeitern geworden, die sich zu ihrer sexuellen Orientierung und Identität bekannt haben. Sie sind der Überzeugung, dass Liebe überall dort sei, wo auch Gott ist. Er unterscheidet nicht, ob sich Männer und Frauen gegenseitig oder auch untereinander lieben. Viel eher ging der Heilige Valentin davon aus, dass auch diejenigen unter dem Segen des Herrn und dem Schutz dieser neuerdings als "Verantwortungsgemeinschaft" bezeichneten Verbindung zweier Menschen unterschiedlicher Couleur stehen, die in der Öffentlichkeit keine Anerkennung fanden – aufgrund von Vorurteilen, Stigmatisierung und der überholten Überzeugung, Liebe könne nur zwischen Heterosexuellen stattfinden.

Letztendlich haben bereits viele Verse aus der Heiligen Schrift diese dogmatische Verirrung widerlegt. Und auch zahlreiche Liederdichter haben sich mit der Frage befasst, wie es sich denn jetzt mit der Liebe verhält. Wenn wir die Zusage aus dem 1. Johannesbrief ernst nehmen und davon ausgehen, dass Gott selbst die Liebe sei, wird sich der kritische Christ von heute zu Recht echauffieren: Angesichts von Leid, Katastrophen und persönlichen Krisen fällt es schwer, das Bild eines ausschließlich liebenden Gottes aufrechtzuerhalten. Doch ich möchte entgegenhalten: Liebe ist nicht eindimensional. Wir verbinden mit ihr ausschließlich emotional Positives.

Doch ist es nicht der größte Liebesbeweis, dass uns Gott als souveräne und eigenverantwortliche Wesen geschaffen hat? Ernst Hansen schreibt in seinem Text aus dem Evangelischen Gesangbuch (Ausgabe Baden), Nr. 653 unter dem Titel "Gottes Liebe ist wie Gras und Ufer" in der ersten Strophe: "Frei sind wir da, zu wohnen und zu gehen. Frei sind wir, ja zu sagen oder nein".

Liebe hat tausende Gesichter – und zu ihr gehört nicht nur die subtile Äußerung von Gefühlen, sondern auch der Zuspruch: Weil ich dich liebe, lasse ich dich los. Gott schenkt uns die Unabhängigkeit, er traut uns zu, selbst zu entscheiden und zu wirken. Daraus folgt letztlich auch der Umstand, dass es Liebe ist, wenn wir einmal stürzen. Denn die oftmals falsch verstandene Allmacht Gottes ist eben kein Garantieschein, dass wir von Pein und Qual verschont werden. Stattdessen ist es auch die Liebe von fürsorgenden Eltern, wenn sie ihr Kind irgendwann in die weite Welt entsenden, um Erfahrungen zu sammeln.

Ohne die Erkenntnis, dass unser irdisches Dasein nicht ohne Gefahren ist, können wir schon deshalb nicht überleben, weil es uns an der Einsicht fehlt, wonach man nach dem Fallen auch wieder aufstehen kann. Und dabei hilft uns Gott allemal. Er streckt die Hand aus, damit wir vom Boden hochkommen. Durch Menschen, die uns in den schwierigsten Augenblicken an der Seite stehen, zuhören und uns trösten. Durch die kleinen Gesten des Alltags, die aus unserem Radar verschwinden – und das Leben doch so kostbar machen. Und durch die Zuversicht, dass nach den Tälern auch wieder Höhen kommen werden. Dessen können wir uns gewiss sein, weil Gott schon so oft indirekt ins Weltgeschehen eingegriffen hat.

Wir sollten also verstehen, dass Gottes Liebe nicht plump ist, sondern sich im endlosen Vertrauen äußert, wonach wir als seine Geschöpfe über richtig und falsch befinden können. Diese Fähigkeit erlaubt uns auch, zu dem Urteil zu kommen, dass Valentin recht hatte: Liebe ist überall, wo Menschen sind – weil wir uns als Abbild Gott bezeichnen dürfen.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zu "Kirche ohne Sex: Die Missbrauchsskandale der katholischen Kirche schaden auch den Protestanten"

Den Schaden haben zuerst die Betroffenen

Im Grunde schaden die im Gutachten beschriebenen Missbrauchsskandale nicht "auch den Protestanten", sondern in allererster Linie den vielen Betroffenen, deren Leben durch die Taten ruiniert wurde.

Das ist auch keine Problematik, bei der man mit gerunzelter Stirn auf die Katholiken deuten sollte, sondern das betrifft ganz genau so die Evangelische Kirche. Die Täterstrukturen sind sich ähnlich.

Aus diesem ernsten Grunde gibt es in der ELKB die Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt, seit 2020 ein Präventionsgesetz und die Verpflichtung für alle Einrichtungen in Kirche und Diakonie bis 2025 ein eigenes Schutzkonzept zu erarbeiten. Außerdem haben Betroffene die Möglichkeit, sich vertraulich an die Ansprechstelle zu wenden.

Ja, wir können den katholischen Geschwistern sogar in gewisser Weise dankbar sein für das Gutachten, denn nun wagen sich sichtlich mehr Betroffene aus dem Dunkelfeld. Ihnen gilt Respekt.

Sabine Böhlau, Koordination Ansprechstelle für Betroffene Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt der ELKB Telefonische Sprechzeiten für Betroffene (Vertraulichkeit ist zugesichert) Montag 10:00 bis 11:00 Uhr und Dienstag 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr 089 5595 335 oder ansprechstellesg@elkb.de

Leserbrief zum Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" 

Ich möchte mich herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie so einen schönen Artikel veröffentlicht haben. Heutzutage werden immer die Sachen in den Medien gezeigt, die entweder nichts mit der Religion zu tun haben oder die gegen die Lehre der Religion sind. Es hat mich sehr gefreut, als ich diesen Artikel gelesen habe.

Als Muslima wünsche ich mir, dass die Menschen mich so wahrnehmen, wie ich bin und was ich in der Gesellschaft leiste und nicht nur was ich auf dem Kopf habe. Mein Kopftuch schenkt mir Selbstbewusstsein und gibt mir Motivation. Außerdem ist es meine persönliche Entscheidung, das Kopftuch zu tragen. Es ist ein religiöses Gebot und kein politisches Symbol. Wir sollten uns gegenseitig akzeptieren und respektieren in dieser Gesellschaft.

Ayesha Ahmed

Leserbrief zum Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" 

Erst einmal möchte ich als Kopftuchträgerin meinen Dank an Herr Rohe aussprechen, da er dieses wichtige Thema anspricht. Die ständigen Debatten, um das Kopftuch sind für Musliminnen sehr anstrengend mitzuverfolgen. Diese Debatten werden selten sachlich geführt und sind meist vorurteilsbeladen. Das hat zur Folge, dass Kopftuchträgerinnen im Alltag noch mehr Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind.

Kopftuchträgerinnen bekommen keine Plattform, um sich über das Kopftuch und die Gründe, warum sie es tragen, zu äußern. Natürlich sind Debatten über Religion und auch das Kopftuch vollkommen legitim, jedoch sollten diese sachlich und inklusiv geführt werden, sonst richten sie mehr Schaden als Nutzen an.

Hania Ahmed, Rödermark

Leserbrief zum Kommentar "#OutInChurch: Sie verdienen unsere Unterstützung und Solidarität"

Gott ist (auch) schwul…

Das Outing von über 100 Mitarbeitern der katholischen Kirche dürfte eigentlich keine Schlagzeile wert sein. Dass sie es doch ist, zeigt deutlich, wie fern viele klerikale Kreise auch weiterhin von der Lebenswirklichkeit ihrer Gläubigen und Angestellten sind. Es gibt biblisch keinerlei Rechtfertigung, homosexuelles Empfinden als Sünde zu brandmarken. Auch das sittliche Ausleben der eigenen Orientierung widerspricht eindeutig nicht der Heiligen Schrift. Wer aus den Büchern Mose eine anderweitige Interpretation ableitet, nimmt eine buchstabengetreue Exegese vor, die es vergisst, den Kontext der damaligen Zeit in die Gegenwart zu übertragen – und begeht nach meinem Verständnis überdies einen Übersetzungsfehler aus dem Hebräischen.

Letztlich sind es die gleichsam in Genesis und Exodus zu findenden Worte von Freiheit, Eigenverantwortung und der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse, die Gott dem Menschen übertragen hat, welche den vielfach zitierten Versen über angebliche Widrigkeit gleichgeschlechtlicher Partnerschaft zuwiderlaufen. Auch Matthäus 19 und das Liebesgebot aus dem 1. Johannesbrief stehen zu dem Gedanken, wonach die Zuneigung zwischen zwei Männern oder zwei Frauen nicht dem schöpferischen Willen entsprechen würde, diametral in Opposition. Die Annahme jedes Einzelnen von uns durch einen Erschaffer, der selbst als androgyn zu bezeichnen ist und die Verschiedenheit des Genus lediglich als einen sich ergänzenden Pol in der Weltordnung hervorgebracht hat, um ein mögliches Beispiel für das Zusammenleben von Individuen zu zeigen, ist für mich selbstverständlich.

Jeder, der einen christlichen Humanismus vertritt, muss zur Konklusion kommen, dass die Unterschiedlichkeit von Wesen fundamental zur katholischen Überzeugung gehört. Und so ist der Sexus nicht dafür gedacht, sich innerhalb des gleichen Geschlechts voneinander abzugrenzen. Vielmehr ist die Anziehung von Menschen jeglicher Couleur repräsentativer Ausdruck der göttlichen Agape, die wir andernfalls kaum spüren könnten, würden wir nicht Zärtlichkeit unter unseresgleichen praktizieren dürfen. Und so ist jede verantwortungsvoll ausgelebte Liebe im Sinne eines Schöpfers, der weder in seiner theistischen Gestalt und stellvertretenden Niederkunft durch Jesus Christus, noch durch die uns von ihm eingegebenen Zeilen Anstalten macht, homosexuelle Hingabe und Leidenschaft zu unterbinden.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zum Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" 

Als ich den Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" las, wurde ich selbst noch einmal bestärkt, mich für mein Kopftuch einzusetzen. Ich freue mich über diesen objektiven und dennoch motivierenden Artikel. Ich als Muslima liebe mein Kopftuch und möchte es auch für meine Arbeit nicht ablegen müssen. Da es viele Frauen gibt, die von dem neuen Bundesgesetz zum Verbot religiöser Symbole betroffen sind, und sich nicht trauen für ihre Recht zu kämpfen, kann solch ein Gesetz Deutschland gute Arbeitskräfte kosten.

Ich selber kenne einige Frauen, welche hervorragende Lehrerinnen wären, die nun aber leider keinen Sinn mehr darin sehen diesen Studiengang zu wählen. Dabei ist es doch gerade die Diversität und die Offenheit, welche nicht nur unsere Schulen, sondern auch ganz Deutschland ausmachen. Ich halte weiter daran fest und hoffe, dass wir uns weiterhin für unsere Rechte einsetzen. Danke für diesen tollen Beitrag!

Monique Petschulis

Leserbrief zum Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" 

Ich habe Ihren Artikel über die Kopftuch-Debatte gelesen, in der Sie die Gedanken von Herrn Mathias Rohe geäußert haben. Ich bin dankbar und froh zu wissen, wie sehr Herr Rohe sich um Frauen sorgt.

Aber faktisch würde das Verbot von Hijab oder die Durchsetzung eines neuen Bundesbeamtengesetzes Frauen ihrer Freiheit berauben. Da es keine Kraft beim Tragen von Hijab gibt, tragen viele muslimische Frauen ihn daher nicht. Wenn ich also Hijab trage und wirklich Freiheit fühle und dann durch ein Gesetz gezwungen wäre, ihn abzunehmen, wäre es für mich äußerst beunruhigend.

Es gibt viele ernste Probleme auf der Welt, die unsere Aufmerksamkeit sofort brauchen.

Perwasha Ahmad, Gladbeck

Leserbrief zum Artikel "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" 

Ich möchte mich für die Veröffentlichung  des Artikels "Islamrechtsexperte: Kopftuch-Debatte zeigt Vorurteile gegen Frauen" und die Bemühungen vom Rechtsexperte Herr Mathias Rohe (veröffentlicht am 19 01.2022) sehr herzlich bedanken.

Als Muslima erfreut es mich immer wieder, wenn männliche Personen Stellungnahme zur Kopftuch-Debatte nehmen. 

Herr Rohe bringt es schon gut auf den Punkt, dass es hier fast gar nicht mehr um das eigentliche Problem des Kopftuches geht, sondern eher um die Kulanz, wie viel Religiosität generell bundesweit toleriert wird. 

Wenn eine Muslima aus Liebe zu Allah das Kopftuch freiwillig tragen möchte und den Islam so ausleben möchte, wie es die Praxis zu Zeiten des Heiligen Propheten (Friede und Segnungen Allahs seien auf Ihn) gewesen ist, warum wird dieser Muslima so viele Steine ins Weg gelegt? Vor allem in einem Land wie Deutschland, wo Religionsfreiheit herrscht, sollte dies keine Debatte auslösen. 

Seit Jahren verfolge ich die Debatte des Kopftuchverbotes, aber leider werden die Betroffenen nicht oder nur sehr selten nach Ihrer Meinung gefragt. 

Ich möchte als Muslima erneut klarstellen, dass ich das Kopftuch deshalb trage, weil ich meinen Charakter in den Vordergrund stellen möchte und nicht mein Aussehen. Oft wird man ja auch im Sommer darauf angesprochen, ob es unter der Verschleierung nicht zu warm ist? Es ist naturwissenschaftlich bewiesen, dass es viel gesünder ist, wenn die pralle Sonne nicht auf die Haut knallt und somit ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs darstellt. Warum sollte ich mich dann in meiner Verschleierung im Sommer schämen, wenn ich ja dadurch sogar meiner Gesundheit einen großen Gefallen tun? Auch die Beduinen in der Wüste tragen immer einen Stoff über ihre Haut, damit die Hitze der Sonne ihre Haut nicht schädigt.

Außerdem möchte ich auch nochmal hervorheben, dass das Kopftuch und die islamische Verschleierung  keine Gebote des Islams ist, auch zu Zeiten vom Christentum hat Maria (Friede sei auf Ihr) immer eine Verschleierung/Kopftuch getragen, was ebenfalls Ihre Liebe zu Gott ausdrückt. Die Verschleierung und das Kopftuch sind ein Ausdruck des Schamgefühls einer Frau, die sie nur vor ihren Lebenspartner/Ehemann enthüllt, dies ist auch so im Quran vorgeschrieben. 

In Deutschland soll es angeblich eine Gleichberechtigung für die Geschlechter geben, aber wenn man einer muslimischen Lehrerin verbietet mit dem Kopftuch unterrichten zu dürfen, dann ist das sicherlich KEINESWEGS eine Gleichberechtigung.

Ich wünsche mir, dass ich meine Religion in Deutschland genauso frei ausleben kann, wie es der ursprüngliche Islam vom Propheten Mohammad (Friede und Segnungen Allahs seien auf Ihn) lehrt. Ich werde mich auch stets bemühen einen Widerspruch einzulegen gegen unsinnige politische Entscheidungen gegen den Islam insbesondere gegenüber der Frauen im Islam.

Iqra Mujeeb, Bruchsal

Leserbrief zum Münchner Missbrauchsgutachten der Katholischen Kirche

Schlimmer geht immer – besonders in der katholischen Kirche!

Es scheint für viele Medien und Gläubige noch immer eine Überraschung zu sein: Die Nachrichten über sexuellen Missbrauch in der Kirche beschäftigen uns mittlerweile seit Jahren. Und trotzdem vermögen es viele Kleriker, noch Schäfchen, aber auch die Presse nicht zu begreifen: Wegschauen, Decken, Leugnen und Beschönigen gehört für christliche Würdenträger zum Alltag.

Die gespielte Empörung und das Entsetzen nach den wiederkehrenden Veröffentlichungen von Gutachten und Erkenntnissen in der Aufarbeitung der Misshandlung von Schutzbefohlenen innerhalb der Kirche sind natürlich längst nicht mehr glaubwürdig, sondern Ausdruck einer wirklich hohen kriminellen Energie, die dazu taugt, Relativierungen voranzutreiben, welche die eklatanten Missstände in den Strukturen der Kurie und der katholischen Dogmatik kaschieren.

Letztendlich ist es fadenscheinig, naiv und berechnend zugleich, immer wieder von Einzelfällen zu sprechen und sich zu rechtfertigen, dass man als Führungsperson nicht die Aufsicht über alle Geschehnisse haben konnte, die sich in den Kirchen vor Ort manifestiert hatten: Es sind unzählige Fälle von Erniedrigung, Nötigung und Verführung junger Menschen, die gegenüber Priestern in einem gefühlten Abhängigkeitsverhältnis standen und sich deshalb nicht zu wehren wussten.

Insofern ist das Verhalten der Pfarrer besonders verwerflich, denn sie haben nicht nur Gewalt gegenüber ihnen Anvertrauten ausgeübt, sondern im Wissen um ihre Stellung ihre Obrigkeit ausgenutzt und zu einer Übermächtigkeit pervertiert, die von tiefster Unmenschlichkeit zeugt. Ihre Taten sind vollends verabscheuungswürdig, aber gleichsam nicht ohne Motiv und Ursprung, immerhin ist die unantastbare Hierarchie in der Kirche der Schutzraum für pädophile Neigung durch die verpflichtende, biblisch wie theologisch nicht erklärbare Enthaltsamkeit und den Größenwahn des Katholizismus als religiöse Weltanschauung, die exegetisch Platz für das Recht der Unterdrückung einräumt.

Die unerschütterliche Loyalität im gesamten Apparat der Kirche verhindert jegliche Aufklärung. Gleichsam trägt die von Obsession geprägte Atmosphäre auch wesentlich dazu bei, dass Pfarrer mit psychischen Auffälligkeiten und eigenen Erfahrungen der sexuellen Ausbeutung in der Kindheit und einer hieraus nicht seltenen entstandenen Reifungskrise in der persönlichen Biografie keinesfalls in die Lage versetzt werden, sich diesem Trauma zu stellen, sondern gar angestachelt werden, sie zu unterdrücken.

Die mittelalterliche Rückwärtsgewandtheit in der katholischen Werteorientierung fördert die Ohnmacht derjenigen, die sich im Teufelskreis der geschlechtlichen Desorientierung  befinden. Um zu einer wahrhaftig fruchtbaren Erneuerung zu gelangen, bedürfte es einer Reformation und eines Umbruchs der gesamten Glaubenslehre, die es aber nicht geben wird.

Denn das Bewahrende war schon seit jeher ein Wesensmerkmal der Kirche – und sei sie von noch so schweren Krisen und Erschütterungen heimgesucht. Sie nimmt den Verlust von Ansehen und die immer schneller wachsenden Zahlen bei den Austritten um jeden Preis hin, damit eine Katharsis vermieden werden kann und gewachsene wie zementierte Gepflogenheiten bleiben dürfen. Die Kirche ist Rückzugsort für verirrte Seelen – ein Großteil von ihren stammt aus den eigenen Reihen.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zum Artikel "Warum Novak Djokovic nicht der neue Jesus ist" 

Vorbild für die eigene Lebensführung: Weder Djokovic, noch Jesus!

Ob es nun Prominente von heute sind – oder vermeintliche Könige von vor 2000 Jahren: Narzissmus gab es seit jeher. Schon Jesus hatte den Hang zu Selbstverliebtheit – und ist in dieser Hinsicht für mich kein Vorbild zur Nachfolge. Seine oftmals als maßlose Eigenüberschätzung und von wenig Demut geprägte Art, sich in der Welt als Heilsbringer zu stilisieren, stößt mich als Christen bis heute ab – und hat nicht zuletzt auch dazu geführt, die Kirche zu verlassen. Dass Gott in ihm Mensch geworden ist und dadurch diese jenseitige Kraft des Schöpfergottes für uns Erdenbewohner greifbar und verständlich wurde, ist zwar ein wesentlicher Umstand, welcher mir bei anderen monotheistischen Religionen fehlt.

In Jesus offenbart sich der göttliche Vater und personalisiert die ansonsten so unerreichbar transzendente Macht. Trotzdem ist der im theologischen und dogmatischen Sinne als Sohn Gottes anzusehende Messias für mich kein Erlöser. Denn die Sühnetodphilosophie ist mir fern. Stattdessen ist Jesus eine Persönlichkeit gewesen, die durch viele gute Taten, durch vorbildliches Verhalten und moralische Standhaftigkeit überzeugte. Gleichsam war er aber auch nicht ohne Fehler: Sein Ansinnen, alleiniger Erbringer von Wundern und Verwandlungen zu sein, ist ein Ausdruck von maßloser Überheblichkeit, die nicht zu einem Gottesbild passt, das wir uns als Spiegel vorhalten sollten: Ergebenheit anstelle von übersteigertem Selbstbewusstsein ist das Credo, das ich mir auch von Jesus erwartet hätte. Denn nur aus einer solchen Zurückgenommenheit und Reflexion erwächst ehrliche, authentische und wahrhaftige Größe.

Wenn wir aktuell über Lichtgestalten unserer Zeit debattieren und Tennis-Profis, Hollywood-Stars oder auch Friedensnobelpreisträger und Forscher oder Wissenschaftler in den Adelstand erheben, befeuern wir die Tendenz der Gegenwart, die Grenze des Transhumanistischen überschreiten zu wollen und machen uns damit zu ärmlichen Götzen. Schlussendlich war auch Jesus eine Hyperbel seiner Tage, denn es fehlte ihm an einer sozialen, empathischen und zugwandten Persönlichkeit. Er war ein Einzelgänger, der keine Größen neben sich duldete. Sein beständiges Streben nach Aufmerksamkeit und Wertschätzung waren wenig bewundernswert. Seine oftmals rhetorisch gestellten Fragen gegenüber denjenigen, die an ihm zweifelten, unterstreichen seinen Anspruch an Einzigartigkeit. So ist er in vielen Aspekten für mich keine Autorität, der ich unkritisch und blind nacheifern würde. Er mag uns zwar vor Augen geführt haben, dass es etwas gibt, was unsere Vernunft übersteigt – und an das wir glauben dürfen.

Seine dem Größenwahn nahekommende Lebensweise aber kann für mich nicht wegweisend sein. Es fehlte ihm an der Bereitschaft zur Geselligkeit auf Augenhöhe, stattdessen propagierte er seine Selbstzentriertheit bei allen Gelegenheiten. Wenn wir nun Märtyrer der Neuzeit auf seine Ebene stellen, fördern wir ein Gesellschaftsmodell der Emotionslosigkeit. Doch nicht nur Gott ist Liebe. Auch wir sind in aller Regel fühlende Wesen, die zerbrechlich, sanftmütig und gezeichnet sein dürfen. Nicht der Schein des Ichs ist ein erstrebenswertes Maß, sondern die Fähigkeit, sich mit seinen Mitmenschen auf eine Stufe stellen oder sich ihnen gegenüber gar erniedrigen zu können. Zwar hat Jesus dies am Kreuz getan, seine Vorgeschichte macht ihn allerdings nicht zu dem Idol, als das ihn viele Christen weiterhin betrachten.

Überhaupt: Wir brauchen keine Orientierungshilfen, die allein durch Eigenbewunderung strahlen. Viel eher bedarf es leuchtender Beispiele, die zumindest einmal in ihrer Existenz unten am Boden angekommen sind. Nicht einmal auf Golgatha war Christus zunächst bereit, auf Gott zu vertrauen. Er blieb bis zuletzt ein Mensch, der nicht verstand, warum auch er die Erfahrung des Leids machen muss.

Wer sich ungerecht behandelt fühlt, weil das eigene Ego angekratzt wird, taugt nicht als Exempel für ein gelungenes Dasein. Ob es aktuell nun Djokovic ist, der sich angegriffen fühlt, nachdem er wie jeder andere Bürger Regeln einhalten muss – oder selbsternannte Giganten, die keine Einsicht über ihre eigentliche Angreifbarkeit zeigen: Wer die Bodenhaftung verliert, kann keinen missionarischen Anspruch erheben und dauerhaft zum Musterknaben herhalten. Als Archetyp kann nur ein echter Gott gelten, unerreichbar und singulär.

Dennis Riehle, Konstanz

Leserbrief zum Artikel "Wo Gott wohnt"

Heiko Falcke erwähnt den heutigen Wissensstand, nach dem die Zeit überhaupt erst im Urknall entstanden ist. Das ist OK. Offenbar ist das aber auch für ihn nur sehr schwer vorstellbar, denn er sagt daraufhin: "Davor ist es eine zeitlose Zeit". Wie soll es denn ein "davor" geben, also eine zeitliche Abfolge, wenn es doch überhaupt keine Zeit gibt? Wenn es keine zeitliche Abfolge gibt, kann es auch gar keine "Ursache" geben, denn das Kausalitätsprinzip besagt, dass jeder Wirkung eine Ursache zeitlich vorhergeht . Ohne Zeit keine Ursache! Auch wenn das anschaulich kaum vorstellbar ist, so ist es doch logisch zwingend.

Die Frage nach der "Ursache" des Urknalls ist also bereits falsch gestellt. Daher gibt es auch gar keine "Lücke" (Falcke), die durch einen Schöpfergott gefüllt werden müsste! Aber auch aus christlicher Sicht ist so ein Schöpfergott als "Lückenbüßer" viel zu weit weg. (Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung), Wenn wir wissen wollen, "Wo Gott wohnt", müssen wir ihn schon im eigenen Herzen suchen. Das wussten die Mystiker aller Zeiten schon immer. Auch Falcke lässt uns das ja nachspüren mit seinem Bild von der Krippe. Und von Jesus selbst wird in Lukas 17,21 berichtet, er habe auf die Frage nach dem Reich Gottes geantwortet es sei "inwendig in Euch" (Lutherbibel bis 1980) oder wenigsten noch "mitten unter Euch" (heutige Lesart). Fazit: "Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein" (Karl Rahner), kein Kosmologe.

Helmut Kinder, Emeritus für Physik, TU München.