Der Streit um das leere Grab ist legitim: Da werden Kernfragen des christlichen Glaubens dis­kutiert. Fragwürdig ist indessen die Forderung mancher radikaleren Stimmen innerhalb von Theologie und Kirche, der Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu sei "notwendigerweise" zu verabschieden. Damit wird all denen, die an der Zentralbotschaft des Neuen Testaments festhalten wollen, pauschal intellektuelle Unredlichkeit unterstellt – und das ist unredlich!

Kritik an der christlichen Osterbotschaft nicht neu

Seit dem Aufklärungszeitalter ist Kritik an der Osterbotschaft immer wieder aufgeflammt. Neue Impulse gewann sie 1994, als der Neutestamentler Gerd Lüdemann ein Buch mit entsprechend kritischen Thesen herausbrachte, dessen Heftigkeit viele überraschte und dessen Intention er 1998 mit dem Buch "Der große Be­trug" fortsetzte.

In der Konsequenz seiner Überzeugung, an Ostern sei das Grab Jesu "voll" gewesen, bezeichnete er sich schließlich nicht mehr als Christ. Wenigstens diese Folgerung war intellektuell redlich; doch wie steht es eigentlich um die Osterbotschaft selbst?

Für die einen versteht sich das Be­kennt­nis zur leiblichen Auferstehung Jesu in Entsprechung zum biblischen Zeugnis gewisser­maßen als selbstverständlich, so dass moderne exegetische Kritik daran ihren Glauben gar nicht ernsthaft zu erschüttern vermag. Für die andern versteht es sich im gleichen Maße von selbst, dass die weltanschaulichen Bedingungen für diesen Glauben nicht mehr gegeben sind.

Sind nicht diese beiden Positionen derart weit voneinander entfernt, dass ein Dialog – und sei es in Gestalt eines Streitgesprächs – als kaum mehr loh­nend erscheinen muss?

Wovon erlöst das Christentum, wenn nicht vom Tod?

In einem entscheidenden Punkt jedoch erweist sich der Streit als höchst dringlich und für beide Seiten relevant, nämlich eben in der Frage nach den Folgerungen für eine christliche Spiri­tualität, die ihren Namen verdient. Wovon erlöst die Erlösungsreligion namens Christentum, wenn nicht von Sünde und Tod? Und wodurch erlöst sie, wenn nicht durch Jesus Christus, der als auferstandener Gekreuzigter zu heilsamer Identifikation und Hoffnung einlädt?

Die Möglichkeit zu sol­chem Glauben aber impliziert, dass der gottlose, der Vergäng­lichkeit preisge­gebene Mensch sich wiederfinden kann in dem ein für allemal Mensch ge­wordenen Gott, in dessen Selbsthingabe am Kreuz und in dessen Sieg über den Tod. Der traditionellen Rede vom lee­ren Grab am Ostermorgen in Jerusalem kommt hierbei eine unverzichtbare Funktion zu, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Zum ersten geht es um die Deutlichkeit der Botschaft von der Auferstehung Jesu als solcher, die von Anfang an als bestätigendes Zeichen seiner Messianität verstanden worden ist. Im Rahmen frühjüdischer Spiritualität hätte die Aussage, Jesus sei nach seinem Tod und Be­gräbnis als besonders frommer Mensch gewiss in den Himmel gekommen, keinerlei Aufsehen erregt. Sie hätte kaum mehr an Information transportiert, als dass der Nazarener in den Augen seiner Anhänger gewiss ein Gott wohlgefälliger Mann gewesen sei.

Als Ausweis seiner Mes­sianität hätte eine solche Botschaft niemals gelten können. Allein das Zeugnis von seiner leiblichen Auferweckung konnte das heilende, rechtfer­ti­gende Handeln Gottes an die­sem Gekreuzigten so aussagen, dass des ihn als den einen, von Gott zum Heil aller Menschen Gesandten kennzeichnete. Wer meint, von Jesu Erhöhung unter völliger Absehung von seiner leiblichen Auferstehung und damit vom leeren Grab reden zu können, verzichtet in ent­scheidendem Maß auf theologische Deut­lich­keit.

Verzicht auf Osterbotschaft kratzt auch am Gottesverständnis

Zum zweiten brächte ein Verzicht auf die Osterbotschaft in seiner Grundsätzlichkeit gravie­rende Korrekturen am christlichen Gottesverständnis mit sich. Spart man bewusst den Aspekt des leeren Gra­bes von der Osterbotschaft aus, so streicht man nicht nur ein weltanschauliches, sondern ein theologisches Skandalon. Geht es doch hier um die Frage, ob der Schöpfergott den Dingen und Ereignissen dieser Welt definitiv so distanziert gegenüber steht, dass ein mehr oder weni­ger massives Eingreifen seinerseits als für vernünftiges religiöses Denken unvorstellbar gelten müsste!

Das wäre dann freilich ein "Wunschgott" für viele, denen es nur recht sein könnte, wenn Gott sie nichts an­geht – jener ferne Hochgott, der die Welt zum Laufen gebracht haben mag, sich aber im Übri­gen nicht weiter um sie kümmert, der also namentlich die neuzeitliche Autonomie nicht in Frage stellt. Das wäre aber nicht mehr der Gott der christlichen Botschaft, die von seiner Hingabe und Treue der Schöpfung gegenüber, ja von seiner Menschwerdung in Jesus zeugt und auf Christus-Glauben zielt.

Zum dritten hängt an der ganzheitlich verstandenen Auferstehung Jesu auch der christliche Rechtfertigungs- und Versöhnungsglaube. Die Botschaft, dass Christus für uns auferstanden, nämlich "um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt" worden ist (Römer 4,25), besagt nicht nur, dass der Sohn Gottes im Himmel für uns priesterlich eintritt, sondern auch, dass er damit der Anfänger unse­res ganz neuen, ewigen Lebens geworden ist.

Der uns vor Gott rechtfertigende Glaube ist laut Paulus im Kern Christus-Glaube: Das Du des liebenden, für uns eintretenden Herrn ermöglicht es dem Ich, sich auf ihn hin zu entwerfen. Dabei ist es entscheidend für das allemal leibgebundene, sich seiner Vergäng­lich­keit bewusste Ich, dass das Du des Erlösers ihm eine Zukunft seiner eigenen Leiblichkeit zuspiegelt. Nur so kann das Ich des Glaubenden sich ganzheitlich in dem Du Christi bergen, statt sich irgendeines ab­strakten Selbstes trösten zu müssen.

Historisch keineswegs unwahrscheinlich

Die spirituelle Bedeutung der Botschaft von Jesu leiblicher Auferstehung in notwendiger, un­missverständlicher Verbindung mit der Rede vom leeren Grab liegt also bei näherer Be­trach­tung auf der Hand. Historisch-exegetische Bemühung vermag die Wahrheit des Osterglaubens in die­sem Sinn gewiss nicht zu beweisen. Dazu ist sein Anliegen denn doch zu transzendent; aus gutem Grund ist Jesus nur solchen erschienen, die an ihn glaubten.

Aber geschichtliche Forschungs­arbeit kann diesen Glauben durchaus dahingehend stützen, dass der von Lüde­mann und einigen anderen erweckte Eindruck widerlegt wird, als wäre er insgesamt intel­lektuell nicht mehr verantwort­bar.

Das neutestamentliche Zeugnis vom leeren Jerusalemer Grab trägt mit Blick auf die Singu­larität des Beschriebenen bereits in sich den Impuls, dem Verdacht entgegenzutreten, es habe sich allemal nur um fromme subjektive Visionen ge­handelt. So erklärte der Exeget Hans Freiherr von Campen­hausen in seinem Buch "Der Ablauf der Oster­ereig­nisse und das leere Grab": Prüfe man, was sich prüfen lasse, so komme man

"nicht darum herum, die Nachricht vom leeren Grab selbst und von seiner frühen Ent­deckung stehen zu lassen. Es spricht vieles für und nichts Durch­schlagendes und Bestimmtes gegen sie; sie ist also wahrscheinlich histo­risch."

Ähn­lich unterstrich später der Neutesta­mentler Leonhard Goppelt:

"Nach allen Anzei­chen ist es histo­risch wahrscheinlich, daß Frauen aus der Umge­bung Jesu am dritten Tag sein Grab oder ein Grab, das sie dafür hielten, leer fan­den."

Als ein wesentliches Argument dafür wird ange­führt: Die Auf­er­stehungs­botschaft der nach Jerusa­lem zurück­kehrenden Jünger hätte sich dort kaum halten können, wenn der Leich­nam Jesu im Grabe nachzuweisen gewesen wäre. Einige andere Neu­tes­ta­ment­ler wie etwa Joachim Jeremias gehen sogar davon aus, dass es in Jeru­sa­lem eine Lokal­tradition ge­geben haben dürfte, in deren Rahmen die Apostel Jesu leeres Grab immer wieder vorge­zeigt hätten.

Auch der Wiener Orientalist Karl Jaros betont, man könne angesichts der ganz­heitlichen Anthro­po­lo­gie im jüdischen Kontext "zu gar keinem anderen Schluss kom­men, als dass die Botschaft von der Aufer­ste­hung Jesu in Jerusalem kei­nen Tag haltbar ge­wesen wäre, wenn nicht die Apostel tatsächlich ein leeres Grab Jesu hätten zeigen können, das auch all­ge­mein als das Grab Jesu anerkannt wor­den wäre.

Im Blick auf diese Lage der Dinge hielt der Neutestamentler Martin Hengel fest:

"Gerade die sich kritisch gebenden Exe­geten sind sich viel zu wenig der schlichten Ungeheuerlichkeit der ur­christlichen ‚Botschaft’ be­wußt, die praktisch aus jeder zeitge­nössi­schen jüdischen und heid­nischen Analogie herausfällt."

Die Aus­richtung der neuen Botschaft müsse "von Anfang an, ja gerade am Anfang, auf allerschärfsten Widerstand gestoßen sein. Sie wäre ohne das unleug­bare Phänomen des leeren Grabes gerade in Jeru­sa­lem un­mög­lich gewesen."

Leeres Grab besagt erstmal nichts

Tatsächlich haben sich die Erzählungen vom leeren Grab keineswegs erüb­rigt. Vielmehr war im Unter­schied zum Vorliegen rein jenseitig deutbarer Visionen das Grab ohne den Leichnam Jesu als Zeichen für das überwundene Totenreich unerlässlich. Natürlich besagt das Phä­nomen des "leeren Grabes" für sich genommen wenig bis gar nichts. Schon das Matthäus-Evangelium bekämpft die offenbar gängig gewordene Alternativdeutung, der Leichnam Jesu sei gestohlen worden – eine Version, die interessanterweise die Tradition des leeren Grabes indirekt bestätigt.

Im Zusammenhang mit den Erscheinungen des Auf­erstande­nen ergeben die Gra­besgeschichten jedenfalls ein stimmiges Bild: Jesus Christus ist leiblich auferweckt und sein Leich­nam von Gott zu einer ewigen Existenzform verwandelt worden. Damit hat ihn der Schöpfer zum Erstling der neuen Schöpfung gemacht und zum Herrn der neuen Menschheit seines Reiches erhöht. Die Identität des aufer­weckten Christus mit dem irdischen Jesus wäre nicht sicherge­stellt, wenn das Grab nach dem Ge­sche­hen von Gol­gatha "voll" geblieben wäre.

Es geht bei der Rede vom auferweckten Begrabenen also keineswegs um eine mythologische oder bloß meta­phorisch gemeinte Vorstellung, die der aufgeklärte Verstand über Bord zu wer­fen hätte. Im Gegenteil: Österliche Spiritualität kann nicht ohne die Rede vom leeren Grab bleiben, wenn sie sich nicht auf religiöse Symbolgehalte reduzieren lassen will, denen kaum mehr Er­lö­sungskraft innewohnt als der Mär vom Osterhasen.

Unser Gastautor Werner Thiede

Werner Thiede ist Pfarrer der ELKB i.R., apl. Professor für Systematische Theologie und Autor des Buches "Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage" (2. Aufl. 2022).

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